Grundlagen antifaschistischer Wirtschaftspolitik?
Die Begrifflichkeit »antifaschistischer Wirtschaftspolitik« wird aktuell Isabella Weber gebraucht, z.B. im Interview mit der taz (aber auch in diversen Tweets). Was sie mit »antifaschistischer Wirtschaftspolitik« meint, sagt sie in folgender Passage.
»Es geht darum, wie wir Wirtschaftspolitik so gestalten, dass die Menschen sich wieder in ihrem Land zu Hause fühlen, und zwar ohne dass sie mit dem Finger auf Migranten zeigen und einer Partei mit menschenverachtenden Auffassungen in die Arme getrieben werden. Wir kommen aus mehreren Jahrzehnten des Neoliberalismus, in denen uns systematisch abgewöhnt wurde, einen gestalterischen Staat zu denken. Wir müssen das wieder wagen und die Leute mit wirklichen Alternativen zurückgewinnen, so dass die Rechten nicht die einzige Option sind, die den Status quo in Frage stellen.« (Isabella Weber, taz, 9.11.2024)
Sie spricht dort wichtige Punkte an, die für Deutschland vor allem durch die Studien zur Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit bestätigt werden. Diese Studien von Wilhelm Heitmeyer & seinem Team, publiziert in der Reihe »Deutsche Zustände«, zeigten u.a., dass Menschen, die sich krisenbedroht & orientierungslos fühlen, besonders anfällig für die Abwertung anderer Menschen sind. Um das etwas mit Zahlen zu unterfüttern siehe nachfolgenden Reproduktionen (via Makronom-Magazin) aus der Pressekonferenz zum Abschlussbericht zum Projekt der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (2011|PDF).
Mensch könnte jetzt noch tiefer bohren, Stichworte wären z.B. institutionelle Anomie, Ökonomismus, ökonomistische Einstellungen, Demokratieentleerung & marktförmiger Extremismus. Aber die Hinweise auf die Krisenbedrohung und Orientierungslosigkeit eben sollte bereits genügen, zu erkennen, welche Relevanz eine ›richtige‹ Wirtschaftspolitik hat. Sprich: Wer den Eindruck von Krisenbedrohung & Orientierungslosigkeit vermeiden will, wird keine Politik der Austerität, Sparprogramme, Verschärfung vom Sanktionen im Bürgergeld etc. betreiben. Das wäre im Sinne Webers »antifaschistische Wirtschaftspolitik«.
Ökonomische Misanthropie
Es gibt hier aber noch einen anderen Punkt, den ich für wichtig erachte. Nämlich, dass es für eine »antifaschistische Wirtschaftspolitik« auch eine Ökonomik bräuchte, die sich der oben genannten Probleme & der ökonomischen Misanthropie bewusst ist. Das betrifft bestimmte Abwertungsmuster, die sich im ›ökonomischen Denken‹ zeigen, etwa klassistische Haltungen; aber auch allgemein Momente einer »Ideologie der Ungleichwertigkeit« (Heitmeyer). Also konkret Momente, in denen die Gleichwertigkeit und absolute Menschenwürde angegriffen wird. Das ist der Humus, auf dem Abwertungen von anderen, autoritärer Nationalchauvinismus usw. gedeihen – das, was faschistischen/ autoritären Tendenzen Vorschub leistet.
Dabei handelt es sich nicht um einzelne Ausnahmen ›der‹ Ökonomik, sondern es geht um teils festgefügte Argumentationsmuster im ökonomischen Denken (Wettbewerb, Kosten-Nutzen-Kalkül usw.). Das zeigt sich z. B. am Zuspruch & Lob, das einzelne Ökonom: innen für das Ordo-Vintage-Papier Lindners im Vorfeld des Koalitionsbruchs öffentlich äußerten. Das zeigt sich aber noch an vielen anderen Punkten.
Zu denken sei an die Rolle der Ordo-Ökonomik bei der Gründung der NoAfD, Sarrazin, die Uhlig-Debatte, der Zuspruch von Hayek-Fans gegenüber Milei oder der Vorschlag zur Thüringen-Wahl 2020, mensch möge sich doch auf Experimente mit der NoAfD einlassen.
Das scheint bis heute nicht angemessen aufgearbeitet zu sein. Außerdem gäbe auch Landas »Der Lehrling und sein Meister« ›der‹ Ökonomik viel Stoff, um über Zusammenänge zwischen dem wirtschaftsliberalen Denken, Ökonomik & Faschismus nachzudenken. Das Thema Rassismuss & Kolonialismus spielt ebenfalls dazu eine Rolle. Das ist aber nicht mein Metier, weshalb ich für einen ersten Eindruck auf den Beitrag von Ingrid Harvold Kvangraven, Surbhi Kesar und Devika Dutt zur Verleihung des ›Wirtschaftsnobelpreises‹ an Acemoglu/Johnson/Robinson verweise (Economic & Political Weekly 2024, Vol. 59, Issue No. 42, 19.10.2024).
Wie auch immer, die ökonomische Misanthropie kommt häufig auf leisen Sohlen, ›wissenschaftlich‹ und ›neutral‹ daher. Es könnte daher in der Tat lohnenswertes Unternehmen sein, sich einmal näher damit zu befassen, ob die Ökonomik eine Rolle bei der »rohen Bürgerlichkeit« & beim »Extremismus der Mitte« spielt und wenn ja, wie das dann im Detail ausschauen mag.
Ökonomik & Grundbedürfnisse?
Es gibt aber noch einen weiteren Punkt, den Isabella Weber im Interview mit der taz anspricht und der direkt auch auf die VWL durchschlägt: Die Berücksichtigung existenzieller Bedürfnisse.
»Es braucht einen wirtschaftspolitischen Katastrophenschutz, also Pläne, damit nach Preisschocks wie nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine oder nach Naturkatastrophen die Preise von essenziellen Gütern nicht explodieren. Die Bedürfnisse der Menschen dürfen nicht als Kollateralschaden freier Preise behandelt werden. Es braucht in essenziellen Sektoren strategische Redundanzen, um Angebotsschocks abfedern zu können. Es braucht gezielte Maßnahmen wie eine Mietpreisbremse. Es braucht aber auch eine grüne Reindustrialisierung, die auf die Bedürfnisse der Leute zugeschnitten ist. Einen Solarpark zum Beispiel kann man so bauen, dass alle Leute sich darüber ärgern, weil er dort ist, wo man spazieren geht. Oder man baut Solarpaneele auf Parkhäuser und Supermärkte und entlang der Autobahnen, vielleicht sogar so, dass dabei noch Schallschutz entsteht. So baut man die Bedürfnisse der Leute systematisch in den Ausbau einer grünen Infrastruktur ein.« (Isabella Weber, taz, 9.11.2024, Herv.d.Verf.)
Die mit Blick auf ›die‹ Ökonomik bittere Pointe ist aber, dass ›die‹ Ökonomik ein sehr ambivalentes Verhältnis zum Motiv der Existenz bzw. Existenzsicherung pflegt. Sie ist im Grunde gar nicht in der Lage, dem Anspruch, den Weber formuliert, angemessen Rechnung zu tragen.
Ich habe dazu schon viel geschrieben, weshalb ich zum Einstieg in diese Problematik auf zwei eigene Artikel zu dieser Thematik verweise.
1. Ökonomik ohne Existenznotwendigkeit? (2020)
2. »Moral Economy« – ein anderer Blick auf ›Wirtschaft‹
Wer es mit der »antifaschistischen Wirtschaftspolitik« ernst meint, wird also erstens mit anderen ökonomischen Konzepten arbeiten müssen: Moderner Subsistenzansatz, Alltagsökonomie (Foundational Economy), sozial-ökologische Perspektive, Care Economy usw. Zweitens wird es dabei auch um eine ernsthafte Berücksichtigung der normativen & ethischen Dimension von ›Wirtschaft‹ & Ökonomik gehen müssen, was angesichts eines positivistischen Mainstreams 2.0 eine ganz besondere Herausforderung darstellt. Dies & der Aufbau ideengeschichtlicher Expertise sind aber notwendig, um – drittens – die problematischen Kernelemente im ökonomischen Denken identifizieren & ändern zu können, die sich einer »antifaschistischen Wirtschaftspolitik« grundsätzlich entgegenstellen.
In anderen Worten: Über »antifaschistische Wirtschaftspolitik« sprechen, aber gleichzeitig nicht über die ökonomische Misanthropie schweigen. Und der Weg dahin, der wird sicher einer Pluralisierung ›der‹ Ökonomik bedürfen, wie sie heute noch an den Universitäten gelehrt und betrieben wird.