»Gutes Leben« als erster Schritt in den Wachstumszwang?
Ich befasse mich beruflich forschend sei Februar 2023 intensiver mit dem Thema »Wohlstand« und sehe mir dazu zunächst erst einmal an, wie »Wohlstand« thematisiert wurde. In dem Zusammenhang habe ich mir auch die »Wirtschaftsphilosophie« von Thomas Sören Hoffmann (2009) angeschaut und dort mit Blick auf das Denken in der griechische Antike bei Platon (427-347 v. Chr.) einen interessanten Gedanken gefunden.
Zunächst geht Hoffmann darauf ein, welche Aufgaben ›der Staat‹ nach Platon hätte: nämlich die Versorgung mit den Lebensnotwendigkeiten, also Nahrung und andere Güter zur Befriedigung der Grundbedürfnisse, aber er soll auch für die Infrastruktur für den Tauschhandel sorgen, die notwendig ist, um diese (!) Güter zu erwerben (Geld, Marktplatz usw.). Ethisch legitimer Außenhandel und Tauschhandel haben der Befriedigung der Grundbedürfnisse zu dienen, »für Willkürbedürfnisse, gar für den Luxus ist hier kein Platz«, stellt Hoffmann (2009: 29) dort klar. In diesem Sinne soll der Staat das Überleben seiner Mitglieder absichern. Aber geht es nur um das Überleben? Ist die Forderung nach einem guten Leben nicht auch legitim?
Hoffmann lenkt an dieser Stelle die Aufmerksam auf eine Diskussion von Sokrates, in der auf die Ambivalenz der Frage nach dem guten Leben hingewiesen wird: Die Frage nach dem guten Leben führe nämlich automatisch zu einer Ausdifferenzierung der Bedürfnisse und münde tendenziell in eine expansive Dynamik der Staatstätigkeiten. Damit verbindet sich letztlich auch eine Idee unendlichen Wachstums, die – diesem Gedankengang folgend – auch kriegerische (Expansions-) Handlungen hervorbringen kann.
Die Konzentration auf das Leben oder Überleben begrenzt damit also den Zwang zur Bedürfnisbefriedigung, während die Frage nach dem guten Leben die Begrenzung der Lebensnotwendigkeiten durchbricht und eine Wachstumsdynamik in Gang setzt, »die mit der je gegebenen Endlichkeit des Staates, seiner Ressourcen und Kapazitäten, in jedem Fall kollidiert.« (Hoffmann 2009: 30) Das unendliche Wachstum von Bedürfnissen stößt hier auf die Endlichkeit natürlicher Ressourcen und Kapazitäten. Damit kann diese expansive Wachstumsdynamik »für den Staat selbst, seine innere wie äußere Identität, zum Problem werden« (Hoffmann 2009: 30).
Ferner weist Hoffmann (2009: 29-30) darauf hin, dass sich mit der Frage nach dem guten Leben immer eine Zielverfolgung verbindet. Dieser Hinweis lässt sich aufgreifen und aus heutiger – wirtschaftsethischer – Sicht schlussfolgern, dass dies immer auch eine ethische Abwägung erfordert: Zu klären wäre, wie sich – auf welcher ethisch legitimen Weise – bestimmen lässt, was »gutes Leben« sein soll und wie dieses dann in der konkreten Zielverfolgung zu rechtfertigen ist. (Streng genommen wäre auch die Garantie der Lebensnotwendigkeiten eine solche Zielverfolgung, die aber offenbar - aus nahe liegenden Gründen - als wenig klärungsbedürftig angesehen wird: Wer zum Beispiel den Anspruch auf Menschenwürde grundsätzlich und kategorisch akzeptiert, wird die Gewährleistung der Lebensnotwendigkeiten nicht diskutieren müssen, denn alles, was dem nicht nachkommt, würde den Anspruch auf Menschenwürde negieren.)
Ich finde diese Überlegungen interessant. Denn in der heutigen Debatte um »Wohlstand« findet sich die Kritik, die vor allem ökonomisch geprägte Vorstellung von »Wohlstand« sei stark mit der Idee des Wachstums verbunden. Gleichzeitig wird der Begriff des guten Lebens im Sinne von »Genügsamkeit« – teils konkret im Kontext von DeGrowth/ Postwachstum – ins Spiel gebracht. Das Narrativ: Weg davon, »immer mehr« oder »nicht genug« haben zu wollen, hin zur Rückbesinnung auf das gute Leben, das durchaus Annehmlichkeiten bieten soll, das aber nicht von endlos wachsenden Konsumbedürfnissen ohne »Nutzen« (Gebrauchswert?) getrieben wird.
Das führt wiederum in das bei Platon erwähnte Spannungsfeld: Denn wenn »Wohlstand« als gutes Leben nicht auf das Überleben in der Gesellschaft reduziert sein soll, also über diese gesellschaftlichen Notwendigkeiten des Lebens hinauszugehen hat, dann bestünde automatisch die Tendenz zur Ausdifferenzierung der Bedürfnisse und damit zu einer expansiven Dynamik, die aber gerade Gegenstand der gegenwärtigen Wachstums- und Wohlstandskritik ist. Das lässt sich hier nicht weiter vertiefen, soll aber als kleine Illustration dafür herhalten, wie relevant diese ideengeschichtlichen - bei Thomas Sören Hoffmann erwähnten - Überlegungen auch für die aktuellen Debatten zum »Wohlstand« sein können.