Wenn ökonomischer »Mainstream« die ökonomische Heterodoxie erklärt
Gedanken zu den Grundzügen der Volkswirtschaftslehre von Mankiw & Taylor (2011)
Wer als Ökonom:in aus der Pluralen Ökonomik in die aktuelle (achte) Auflage von Makiws und Taylors »Grundzüge der Volkswirtschaftslehre« (2021) schaut, wird nicht schlecht staunen darüber, dass das 19. Kapitel »Heterodoxe Theorien in der Volkswirtschaftslehre« behandelt. Tatsächlich finden sich dort Momente, die sehr positiv wirken. Was ist also davon zu halten?
Positive Eindrücke
Zunächst lässt sich festhalten, dass sich Mankiw und Taylor bemühten, die heterodoxe Ökonomik ›neutral‹ – nicht abwertend – darzustellen. Dass ihnen die Darstellung selbst nicht vollends gelang, lag daran, dass sie als Mainstream-Ökonomen offenbar nicht über ihren Schatten zu springen vermochten. Damit erklären sich auch ein paar problematische Momente, auf die gleich noch einmal zurückzukommen sein wird. Das ändert aber nichts daran, dass dem Kapitel zumindest ein gewisses Bemühen um Fairness anzumerken ist. Das ist tatsächlich sehr bemerkenswert, ist mensch von der Debatte mit Vertreterinnen und Vertretern ›des‹ ökonomischen Mainstreams in der Tendenz anderes gewohnt: Dort wird heterodoxe Ökonomik teils giftig als »Pseudowissenschaft« deklariert, diese in die Nähe zur Homöopathie gestellt, nicht selten wird die Kritik aus der Pluralen Ökonomik relativiert, wenn mensch sie nicht negieren kann usw. Dass hier also ohne Schaum vor dem Mund drei heterodoxe Strömungen - Institutionenökonomik, Feministische Ökonomik und Komplexitätsökonomik - vorgestellt werden, das ist der eigentliche, sehr positive Eindruck, den dieses Kapitel in dem populären und weit verbreiteten Lehrbuch hinterlässt. Das muss mensch auch als heterodoxer Kritiker der Mainstreamökonomik anerkennen.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch, dass Mankiw/ Taylor (2021) dabei auch nicht mit Selbstkritik gegenüber der Mainstreamökonomik sparen. So lässt sich in der Einleitung von der »Diät« lesen, »auf die Studierende in den ersten Semestern gesetzt wurden« (Mankiw/ Taylor 2021: 637). Gemeint waren damit:
die Theorie der Märkte
Angebot und Nachfrage
die Theorie der Unternehmung und der Faktormärkte
Wirtschaftswachstum
makroökonomische Wirtschaftspolitik,
Modelle, die rationales Eigeninteresse, vollkommene Information, perfekte Mobilität von Ressourcen und Produktionsfaktoren, ökonomische Akteure als Homo Oeconomicus usw. unterstellten, sowie
Modelle, die die Analyse vom (Markt-) Gleichgewichtszustand aus begannen (Mankiw/ Taylor 2021: 637).
Kurz gehalten war eine kleine ideengeschichtliche Einordnung der Entstehung ›der‹ Ökonomik, die skizzieren sollte, wie es zu dem Fokus auf Märkten kam und wie sich über die klassische Ökonomik dann die Neoklassik entwickelte, die dann mit der Banken- und Finanzkrise 2007/2008 in die Kritik geriet. Hier wäre im Detail Kritik angebracht, da Mankiw und Tayler (2021: 639) die klassischen Ökonomen ziemlich arg über einen Leisten brachen und teils verkürzt darstellten. Zum Beispiel behaupteten sie, dass die Klassiker – dazu waren Adam Smith, David Ricardo, Thomas Malthus und John Stuart Mill genannt – die »grundlegenden Überzeugungen« teilten, »das Marktsystem als den effizientesten und effektivsten Mechanismus der Allokation knapper Ressourcen« anzusehen (für die zitierten Stellen Mankiw/ Taylor 2021: 637).
Aber davon abgesehen macht dieser ideengeschichtliche Überblick durchaus Sinn, um über die Kritik an der Mainstreamökonomik zu den heterodoxen Denkströmungen überzuleiten. Tatsächlich schrieben die Autoren dann von der anhaltenden Dominanz des Mainstreams der Volkswirtschaftslehre (Mankiw/ Taylor 2021: 641) und definierten »heterodox« als »alternative Konzepte und Strömungen […], die tendenziell an der Peripherie der Disziplin blieben.« Weiter hieß es dazu:
»Das Wort ›heterodox‹ bedeutet, dass sie sich nicht an akzeptierte oder orthodoxe Überzeugungen oder Standards halten oder damit vereinbar sind. In der Volkswirtschaftslehre wird ›heterodox‹ mit Konzepten und Methoden in Verbindung gebracht, die außerhalb des ›Mainstreams‹ liegen, wobei der Begriff ›Mainstream‹ üblicherweise mit dem neoklassischen Ansatz identifiziert wird. Es gibt auch viele Volkswirte, die dieser Etikettierung widersprechen und argumentieren, dass die neoklassische Wirtschaftstheorie nicht der Mainstream des Faches ist.« (Mankiw/ Taylor 2021: 641)
Das ist eine Darstellung, die vermutlich auch viele heterodoxe Ökonom:innen teilen würden. Im Detail mag darüber gestritten werden, ob »Mainstream« tatsächlich »üblicherweise mit dem neoklassischen Ansatz identifiziert wird« (Mankiw/ Taylor 2021: 641), denn in den heterodoxen Debatten siehe es etwas anders – kontroverser – aus (siehe Abbildung 1, dort Spalte 5: Neoklassisch).
Abbildung 1: Zuschreibungen »Was ist ›orthodox‹?«
Anmerkung: In der Tabelle wurde in einem Überblick dargestellt, wie überwiegend Autoren der heterodoxen Ökonomik in der Auseinandersetzung mit der Mainstreamökonomik - hier als mit dem Begriff »Orthodoxie« assoziiert - diese charakterisieren.
Quelle: Hirte, Kathrin/ Thieme, Sebastian (2018): Heterodoxie in der Ökonomik. In: Schetsche, Michael/ Schmied-Knittel, Ina [Hrsg.]: Heterodoxie. Konzepte, Traditionen und Figuren der Abweichung. Köln: Herbert von Halem Verlag, S. 123.
Es war von Mankiw/ Taylor (2021: 641) aber völlig richtig darauf hingewiesen worden, dass die Beschreibung des ökonomischen Mainstreams als »neoklassisch« unter den modernen Ökonom:innen nicht durchweg geteilt wird (siehe oben, Abbildung 1). Auch aus plural-ökonomischer Sicht gibt es Gründe, diese Zuschreibung zu kritisieren (siehe auch meinen Beitrag in der FAZ: Stolz und Fehlurteil, vom 23.05.2023).
Erfreulich ist ebenfalls, dass Mankiw/ Taylor (2021: 641) die Lesenden ihres Lehrbuchs dazu ermutigten, sich näher mit dieser Debatte zu befassen. Mehr noch, das Fazit am Ende des Kapitels liest sich fast wie ein Plädoyer für eine Plurale Ökonomik:
»Universitäten preisen immer wieder das ›kritische Denken‹ als eine Schlüsselqualifikation an, die schon im Bachelorstudium entwickelt werden solle. Kritisches Denken impliziert jedoch, dass wir den Status quo nicht einfach akzeptieren, sondern dass wir ihn infrage stellen, nach alternativen Erklärungen und Antworten suchen und die grundsätzliche Frage ›Warum?‹ stellen. Die Einführung anderer Ansätze in die Volkswirtschaftslehre bedeutet dabei nicht, das reiche Erbe dieses Fachs zu verleugnen, sondern vielmehr anzuerkennen, dass sich die Disziplin ebenso verändert und weiterentwickelt wie die Volkswirtschaften selbst. Wir hoffen, dass diese kurze Einführung Sie dazu ermutigt hat, mehr herausfinden und diese lebenswichtige Fähigkeit des kritischen Denkens trainieren zu wollen.« (Mankiw/ Taylor 2021: 656)
Natürlich hätte auch weiter differenziert werden können: Plurale Ökonomik, heterodoxe Modellökonomik und sozialwissenschaftliche Ökonomik (Abbildung 2). Aber mensch sollte hier berücksichtigen, dass Mankiw und Taylor eben Vertreter des ökonomischen Mainstreams sind und keine Fachleute für Plurale Ökonomik.
Abbildung 2: Mainstream, Dissenter & Plurale Ökonomik am Beispiel von Denkkollektiven
Quelle: Eigene Darstellung
Lobend hervorzuheben ist ferner, dass Mankiw/ Taylor (2021) mit der Feministischen Ökonomik ein Beispiel für eine heterodoxe Denkströmung skizzierten, die gemessen an Lehrstühlen usw. unterrepräsentiert scheint. Bei der Vorstellung der heterodoxen Strömungen wurde kritisch auf die Mainstreamökonomik geschaut und dabei wurden Kern-Kritikpunkte herausgearbeitet, aus denen sich die heterodoxen Perspektiven speisen. Die so vorgestellte heterodoxe Ökonomik wirkte also nicht esoterisch, nicht unwissenschaftlich usw., sondern durchaus souverän, wissenschaftlich und gleichberechtigt neben dem ökonomischen »Mainstream«. Das ist - im Vergleich mit anderen Diskussionen oder den toxischen Umgang deutscher Vertreter des ökonomischen »Mainstreams« mit andersdenkenden Ökonom:innen (z.B. Isabella Weber) - ein doch erfreulich anderer Tonfall.
Kritik und Fragwürdigkeiten…
Die Darstellung der ökonomischen Heterodoxie bei Mankiw/ Taylor (2021) lädt aber auch zur Kritik ein. Denn wer mit der Materie der Pluralen Ökonomik vertraut ist, findet auch Fragwürdigkeiten. So behaupteten die Autoren zum Beispiel:
»Die anhaltende Dominanz des ›Mainstreams‹ der Volkswirtschaftslehre führte zu einer zunehmenden Verwendung des Begriffs ›heterodox‹, um alternative Konzepte und Strömungen zu beschreiben, die tendenziell an der Peripherie der Disziplin blieben.« (Mankiw/ Taylor 2021: 641).
Das liest sich so, als ob der Mainstream erst dominant geworden wäre und sich daraufhin Strömungen gebildet hätten, die »heterodox« genannt wurden. Tatsächlich gehört Kritik aber zum Normalzustand in der Forschung, was wiederum Abweichungen bedingt. Das, was mensch »heterodox« nennen mag, existierte dann also immer schon. Wer sich ein wenig mit der ökonomischen Ideengeschichte befasst, wird diese Heterodoxie als sich gegenseitiges Abarbeiten durch Kritik verstehen können. Teils wurde das, was heute »heterodox« genannt wird, auch anders bezeichnet (z. B. als »kritische Theorie«). Selbst »Heterodoxie« wirkt in der Fachdiskussion heute fast schon etwas zurückgedrängt zu Gunsten der Bezeichnung »Plurale Ökonomik«.
Überhaupt, das wäre kritisch anzumerken, hätten Mankiw/ Taylor (2021) auch auf jüngere Beiträge aus der Pluralen Ökonomik, aus der entsprechenden Forschung oder stärker auf Organisationen (wie Rethinking Economics) verweisen können. Gerade angesichts der Frage, was »heterodox« sei, wäre ein Hinweis auf die Kategorisierung im Journal of Economic Literature überaus hilfreich gewesen: Unter dem Code JEL B.5 werden nämlich »Current Heterodox Approaches« gelistet, auf die mensch sich als »Mainstream«-Ökonom auch beziehen könnte (siehe Abbildung 3). »Heterodoxe Ökonomik« ist also nichts, was außerhalb der Wissenschaft steht.
Abbildung 3: Heterodoxe Ökonomik gemäß der JEL-Klassifikation
Quelle: https://www.aeaweb.org/econlit/jelCodes.php?view=jel#B
Das mag noch als Petitesse durchgehen. Wirklich ärgerlich ist aber, dass Mankiw/ Taylor (2021) ein Merkmal heterodoxer Ökonominnen und Ökonomen nicht erwähnen, das durch die Literatur und Forschung heute auch ziemlich gut belegt ist (und das im Übrigen auch ein Grund dafür ist, dass seitens der Pluralen Ökonomik Denkkollektive unterschieden werden): nämlich die Marginalisierungserfahrungen von heterodoxen Forschenden durch ihre Kolleg:innen aus ›dem‹ ökonomischen »Mainstream«. Das ist ein vielschichtiger Themenkomplex, der auch eine gewisse Brisanz besitzt, weil er an dem Heiligenschein der Wissenschaftlichkeit kratzt. Aber wenn Mankiw/ Taylor (2021: 657) in ihrem Lehrbuch fragten, warum einige Ansätze die Volkswirtschaftslehre dominieren, so wäre das ein wichtiger Hinweis auf die Rolle von Sozialkapitalien und die verschiedenen Formen von Macht im Forschungskontext, um diese Frage problemadäquat zu beantworten.
Als problematisch erweist sich ferner, was Mankiw/ Taylor (2021) als heterodoxe Denkströmungen vorstellten. Stein des Anstoßes ist hier nicht, dass die Feministische Ökonomik und die Komplexitätsökonomik vorgestellt wurden, sondern was dann als dritte heterodoxe Strömung gleich am Anfang unter dem Label »Institutionenökonomik« skizziert war. Zwar gehört der dort erwähnte John Rogers Commons (1862-1945) zweifelsohne zum sogenannten Alt-Institutionalismus (teils auch: kritischer Institutionalismus), auf den heterodoxe Ökonom:innen als Beispiel für Alternativen zum ökonomischen »Mainstream« verweisen. Doch die Darstellung bei Mankiw/ Taylor (2021) ging fließend in Momente über, die heute mit der Neue Institutionenökonomik verbunden sind, die wiederum fester Bestandteil der Mainstreamökonomik ist. Was von heterodoxer Seite her in der Kritik an der Mainstreamökonomik mit dem Institutionalismus assoziiert wird, das schien zwar dort bei Mankiw/ Taylor (2021) kurz auf, wurde aber in die mainstreamökonomischen Bahnen der Neuen Institutionsökonomik gelenkt. So fiel der Name Thorstein Veblen (1857-1929), der fest mit dem alternativen Denken im Alt-Institutionalismus verbunden ist (Theorie der feinen Leute, demonstrativer Konsum usw.), nicht. Dabei hätte mensch hier auch auf verschiedene andere verwandte Denkströmungen – zum Beispiel zum deutschen Historismus (Deutsche Historische Schule, Neohistorismus, Wirtschaftsstile usw.) – verweisen können, um tatsächlich richtig alternative Perspektiven zum »Mainstream« zu präsentieren. Stattdessen wurde dann übergeleitet zur begrenzten Rationalität, zu Transaktionskostentheorie von Coase, Such- und Verhandlungstheorie, Property Rights und Public Choice. Das sind alles Elemente und Strömungen, die aus einer plural-ökonomischen Perspektive heraus als mainstreamökonomisch kritisiert werden.
So löblich es ist, dass Mankiw/ Taylor (2021) die Feministische Ökonomik nannten, so fanden sich dort Sätze, die Behauptungen aufstellten und erstaunlich wenig Sensibilität gegenüber der Feministischen Ökonomik zeigten. So schrieben Mankiw/ Taylor (2021: 647): »Die feministische Ökonomik hat ihren Ursprung in der Unzufriedenheit mit der ›Mainstream-Ökonomik‹, die die Rolle von Frauen zu ignorieren scheint.«
Von »Unzufriedenheit« zu schreiben, reduziert die fachliche Kritik der Feministischen Ökonomik auf ein Gefühl, das auch noch relativiert dadurch, dass es nur den Anschein habe, die Rolle von Frauen würde ignoriert. Aus feministischer Sicht wäre genau das eine androzentrische Argumentation. Dazu passt, dass die Autoren richtigerweise auf die feministische Methoden-Kritik eingingen, dabei aber nicht den eigentlichen Punkt der feministischen Kritik am androzentrischen Weltbild trafen. Die Kritik der feministischen Ökonomik richtet sich zum Beispiel grundlegend gegen androzentrische Kategorien wie Wettbewerb/ Konkurrenz und Rationalität und thematisiert Dualitäten wie »weiche« Werte vs. »harte« Fakten, Rationalität vs. Emotionalität usw. (Siehe dazu ausführlich z.B. Hella Hoppe 2002: Feministische Ökonomik).
Nicht ganz falsch, aber eben auch nicht ganz unproblematisch ist folgende Behauptung zur Feministischen Kritik an den Wohlstandsmaßen:
»Einer der größten Kritikpunkte der feministischen Ökonomik besteht darin, dass Wohlstandsmaße wie das BIP den Wert von Leistungen nicht berücksichtigen, die nicht über die Märkte abgewickelt werden, wie z. B. die Arbeit, die Frauen zu Hause bei der Betreuung von Familien leisten.« (Mankiw/ Taylor 2021: 649)
Richtig ist, dass kritisiert wurde, der ökonomische »Mainstream« würde unbezahlte Sorgearbeit nicht berücksichtigen. Schließlich handelt es sich beim Bereich »Care« um den größten Wirtschaftssektor (so Ina Praetorius im Handelsblatt, 2020). Aber so, wie es Mankiw/ Taylor (2021: 649) formulierten, sieht es danach aus, als ob die Vertreterinnen und Vertreter einer feministischen Ökonomik für eine Durchökonomisierung des Alltags plädieren, wenn nun diese unbezahlten bzw. nicht eingepreisten Leistungen, die nicht über Märkte abgewickelt werden, bewertet werden sollen. Genau dazu dürfte die Diskussion in ›der‹ Feministischen Ökonomik aber wesentlich differenzierter und kontroverser verlaufen, was zumindest in einem kurzen Nebensatz hätte anklingen können.
Es wirkt auch völlig deplatziert, zu schreiben, dass die männliche – androzentrische – (Wissenschafts-) Perspektive »angesichts des Wandels der Rolle der Frau in der Gesellschaft nicht mehr akzeptabel, angemessen und richtig sei.« (Mankiw/ Taylor 2021: 648) Wann war denn diese diskriminierende Perspektive denn akzeptabel, angemessen und richtig? Akzeptabel, angemessen und richtig für wen? Wenn davon die Rede war, das Konzept Haushalt »könne männlich konstruiert sein« (Mankiw/ Taylor 2021: 648), wurde damit die methodologische Kern-Kritik am ökonomischen »Mainstream« ausgeblendet, dass im Haushalt ein anderes Entscheidungskalkül – kein technisch-rationales Effizienzkalkül – zur Anwendung kommt, es dort z.B. um Für- und Vorsorge sowie Kooperation (statt Konkurrenz) geht.
Nun noch kurz zur Komplexitätsökonomik, die Mankiw/ Taylor (2021: 652-655) vorstellten. Es ist in der Tat so, dass die Komplexitätsökonomik zur heterodoxen Ökonomik gezählt wird. Allerdings gibt es auch heterodoxe Ökonom:innen, die Teile davon doch stärker am Mainstream orientiert sehen (siehe z.B. Heise 2016: Whither economic complexity? A new heterodox economic paradigm or just another variation within the mainstream?| PDF). Das ist im Detail vielleicht verwirrend und die Deteils mögen zu viel sein für einen kurzen Abriss dessen, was Komplexitätsökonomik ist. Aber es hätte der Vollständigkeit und Differenziertheit halber zumindest kurz erwähnt sein können. Was ebenfalls etwas seltsam wirkt, ist, wenn Mankiw/ Taylor (2021) zum Schluss schrieben:
»Diese Denkweise erkennt an, dass Ergebnisse nicht immer allein durch mathematische und statistische Methoden modelliert werden können. Mathematik und Statistik basieren auf Gewissheit und darauf, Wahrscheinlichkeiten mit einem gewissen Grad an Sicherheit abschätzen zu können; die Komplexitätsökonomik hingegen betrachtet Probleme auf eine Weise, die Zeit, Anreize, Ungewissheit und Veränderung mit einbezieht.« (Mankiw/ Taylor 2021: 655)
Das ist sicher nicht ganz falsch. Aber in dieser Formulierung wirkt es so, als ob ›die‹ Komplexitätsökonomik auch methodisch vieles ganz anders mache (oder machen müsse) als der formal-mathematisch und statistisch arbeitende ökonomische »Mainstream«. Denn aus komplexitätsökonomischer Sicht müssten eben viele andere – unbekannte – Variablen berücksichtigt werden sowie Ungewissheit. Wer aber einmal in »The Microeconomics of Complex Economies« (Elsner/Heinrich/Schwardt 2016) schaut, wird feststellen, dass dort sehr wohl Mathematik zur Anwendung kommt, das auch nicht zu knapp und dass es dort auch um Wahrscheinlichkeiten geht. Tatsächlich kommen in dem Kontext ›der‹ Komplexitätsökonomik auch Simulationsmodelle zur Anwendung, die sich von den herkömmlichen mainstreamökonomischen Modellen (im Sinne neoklassischer Modelle) unterscheiden. Die Modelle und die dort verwendeten Annahmen sehen anders aus als einer neoklassischen Mainstreamökonomik. Aber der Umgang ist weniger exotisch, wie es die Ausführungen von Mankiw/ Taylor (2021) suggerierten. Darauf hätte zumindest kurz hingewiesen werden müssen.
Fazit
Es ist mag auf jeden Fall etwas Mut machen, wenn Mankiw/ Taylor (2021) die heterodoxe Ökonomik in ihrem Einführungslehrbuch erwähnten. Die grundsätzliche Unterscheidung in »heterodoxe Ökonomik« und »Mainstream« ist nachvollziehbar und abgesehen von kleinen Details auch richtig. Mankiw/ Taylor (2021) gehen dort auch erstaunlich selbstkritisch mit dem ökonomischen »Mainstream« um. Was das Kapitel im Vergleich mit der sonst üblichen Auseinandersetzung mit der heterodoxen Ökonomik und der Pluralen Ökonomik als besonders positiv abhebt, das ist der doch verhältnismäßig faire Tonfall: Es wird nicht gegiftet; die heterodoxen Strömungen werden nicht in der Weise abgewertet, wie es sonst häufig zu beobachten ist.
Aber alle diese positiven Eindrücke können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Autoren eben »Mainstream«-Ökonom:innen sind, die nicht über ihren eigenen Schatten springen und von der Materie der heterodoxen Ökonomik nicht übermäßig viel Ahnung haben. Dadurch sind Verkürzungen in der Darstellung der heterodoxen Strömungen bedingt, die bisweilen den Eindruck von Zerrbildern vermitteln. Besonders deutlich zeigt sich das an dem, was in der heterodoxen Diskussion als Alt-Institutionalismus angeführt wird, von Mankiw/ Taylor (2021) aber lapidar als »Institutionenökonomik« aufgegriffen und inhaltlich nonchalant als Neue Institutionenökonomik weiterführt wurde. Jedenfalls sind die Darstellungen der heterodoxen Ökonomik von Mankiw/ Taylor (2021) nur im überschaubaren Rahmen geeignet, um über heterodoxe Ökonomik zu sprechen. Gerade bei einer »Institutionenökonomik«, die sich in der Darstellung doch stark mit der Neuen Institutionenökonomik überlagert, sind Missverständnisse vorprogrammiert, wenn es um ein heterodoxes Institutionen-Verständnis geht. Das provoziert auch Enttäuschungen, wenn eigentlich der Anspruch besteht, echte Alternativen zur Mainstreamökonomik zu zeigen. Daher zeigt sich an dieser Stelle besonders deutlich, wie – bewusst oder unbewusst – »Pluralo-Washing« betrieben werden kann: Mainstreamökonomische Aspekte werden als »plural« dargestellt und/ oder Strömungen oder Konzepte der heterodoxen Ökonomik (bzw. Pluralen Ökonomik) werden mainstreamökonomisch vereinnahmt. Das ist außerordentlich heikel. Denn nach wie vor scheint offen, ob die bei Mankiw/ Taylor (2021) behaupteten Pluralisierungstendenzen tatsächlich weit genug gehen. Es mag nämlich auch gut sein, dass die Pluralisierung ›der‹ Ökonomik in einem zu kurz gegriffenen Verständnis von heterodoxer Ökonomik stecken bleibt.
Update: 05.08.2023, 12:07 Uhr.